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Die "Neue Generation" kommt im Revolte-Jahr (W 114 / W 115) 1968 - 1976 [zurück]
1968 hatte es an deutschen Unis zu gären begonnen, und im gleichen Jahr präsentierte Mercedes-Benz eine neue Mittelklasse-Limousine, die genau die Zielgruppe ansprach, gegen die sich der linke Zorn der Studenten richtete. Längst hatten sich die Stern-Mobile in der Mittelklasse etabliert, doch die Doppelbaureihe W 114/W 115 baute die Stellung in diesem Segment noch erheblich aus. Der "Strich-Acht", so genannt, weil das Werk das Vorstellungsjahr 1968 mit "/8" hinter der Typenbezeichnung codierte hatte, fand in den neun Jahren seiner Bauzeit mehr als 1,9 Millionen Käufer – mehr als dreimal soviel wie sein Vorgänger. So markierten die Strich-Achter den ersten großen Boom der Mercedes-Mittelklasse.

"Neue Generation" hatten die Marketing-Strategen die Baureihe getauft. Das traf durchaus, denn Mercedes hatte sein Volumenmodell von Grund auf neu definiert und die Motorenpalette deutlich erweitert. Auch die Form drückte den Fortschritt aus: Statt modischer Flösschen regierte formale Ruhe und Solidität, ohne jedoch schwer zu wirken. Ausgewogen und von leichter Hand gezeichnet erschien der Strich-Acht, der selbst heute, ein Drittel Jahrhundert nach seiner Präsentation längst im Oldtimer-Status angelangt, keineswegs antiquiert wirkt. Außen war er deutlich kompakter als die ausladende Heckflossen-Baureihe, ohne innen an Raum verloren zu haben. Auch das Fahrwerk bot erhebliche Verbesserungen: Die Hinterachse gab sich als Schräglenker-Konstruktion viel gutmütiger als die entwicklungstechnisch überholte Eingelenk-Pendelachse. Auch mit vier Scheibenbremsen, längst noch nicht allgemein üblich, demonstrierte der Strich-Acht seine Spitzenposition in der Mittelklasse.

Zunächst waren die Vierzylinder-Benzinmodelle 200 und 220, die Sechszylinder 230 und 250 und die Diesel 200 D und 220 D an den Start gegangen. Bereits das Basismodell war mit seinen 95 PS für 160 km/h gut, während der 105 PS starke 220 mit seinem Drehmoment überzeugen konnte. Die Sechszylinder, die nur am weitmaschigeren Kühlerschutzgitter zu erkennen waren, gehörten der Baureihe W 114 an. Ein alter Bekannter fand sich im Mercedes-Benz 230 wieder. Es war ein direkter Abkömmling des ersten Sechszylinders nach dem Krieg, vorgestellt bereits 1951 im 220 (Baureihe W 187). Die aufwändige Gemischversorgung übernahmen zwei mächtige Fallstrom-Registervergaser mit Startautomatik, die Leistung lag bei 120 PS, ausreichend für 175 km/h. Ab August 1973 lautete die Typenbezeichnung 230.6, um den Sechszylinder vom neuen Vierzylinder gleichen Hubraums zu unterscheiden.

Topmodell der Strich-Acht-Reihe war zunächst der 130 PS starke 250, der sich mit einer doppelten vorderen Stoßstange von den anderen Modellen abhob. Im Mai 1972 stieg der Hubraum bei gleicher Leistung auf 2,8 Liter, gleichzeitig erfuhr der Mittelklasse-Mercedes mit den Topmodellen 280 und 280 E seine Vollendung. Bis zu den Radausschnitten heruntergezogene Stoßstangen verrieten die 2,8-Liter-Modelle. Sie besaßen zwei obenliegende Nockenwellen und halbkugelförmige Brennräume, die beim 280 E sogar von einer elektronisch gesteuerten Saugrohreinspritzung namens D-Jetronic versorgt wurden. Seine 185 PS stachen in den Quartettspielen auf den Schulhöfen der frühen Siebziger nahezu jede andere Limousine, und die Spitze von 205 km/h galt für einen Viertürer als wahrlich atemberaubend.

Am anderen Ende der Skala tummelten sich die recht beschaulichen Diesel-Typen, die 1974 jedoch ihren eigenen König krönten: Der 240 D 3.0 leistete für die Zeit erstaunliche 80 PS aus drei Litern Hubraum. Der Fünfzylinder basierte auf dem 240 D-Aggregat, das einen Zylinder mehr erhalten hatte. Die wahre Sensation zeigte jedoch der Tacho: reichte der Anlauf, kletterte seine Nadel bis auf 150 km/h – unglaublich für einen Selbstzünder der Vor-Turbo-Ära.

Das bürgerliche Mittelklasse-Image hatte der Strich-Acht durch solche Eskapaden längst abgestreift. Dafür hatte auch die hübsche Coupé-Ausführung gesorgt, während sich Mercedes-Benz zur geplanten Kombi-Variante nicht durchringen kann. 1974 gönnte Mercedes der Strich-Acht-Reihe noch einige optische Retuschen wie die verrippten, langsamer verschmutzenden Rücklichter. Sie nahmen in Details bereits die Nachfolge-Baureihe vorweg.
© Martin Schmer 2006